Donnerstag, der 18. Februar 2016

… im Sommersemester ›Mobilität und Kommunikation‹

Prof. Dr. Martin Scholz über die Inhalte seines Seminars im kommenden Sommersemester ›Mobilität und Kommunikation‹

Zweck des Seminars
Das Forschungsthema des Seminars übt im Sommersemester die Studierenden, ihre individuelle Thesisthematik in einen soziologischen, psychologischen, kulturellen und medientheoretischen Kontext zu stellen und zu diskutieren. Das Seminarthema wirkt hierbei wie eine Lupe, mit der der eigene Themenkosmos genauer betrachtet werden kann. Das geschieht unter besonderer Berücksichtigung der Beziehung von Gestaltung und Moderne.

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Nizzoli, Olivetti ›Lettera 22‹, 1950

Wie geschieht das?
Neben fünf Fachtexten (Georg Simmel, Otl Aicher, Roland Barthes, Wolfgang Welsch, Stephan Rammler und Oliver Schöller-Schwedes) zum Thema Urbanität, Mobilität, Verhalten, Digitalität und Körperlichkeit werden anhand von Kinofilmen wesentliche Positionen in der Moderne sichtbar gemacht. Die Art und Weise ihres Vorkommens und ihrer Darstellung werden untersucht und mit anderen Formen verglichen.

Kontext
Um die Mechanismen der modernen, urbanen und globalisierten Welt (zu der auch ihre ‚Krisen’ gehören) zu verstehen, ist ein kurzer Rückblick in unsere jüngere Vergangenheit notwendig, in der deutlich wird, dass das Design ein wesentlicher kultureller Faktor wurde.

Die Klassische Moderne, verstanden als die bestimmende kulturelle Neuerung der letzten 120 Jahre, hat zu tiefgreifenden Veränderungen im Alltagsleben der Europäer geführt, angefangen von der veränderten Sicht auf die eigene Person (Reflektion der Psyche, Eigenverantwortlichkeit, individuelle Sinnsuche), der Stellung des Individuums in der Gemeinschaft (Strahlkraftverlust von theologischen Welterklärungsmodellen, demokratische Beteiligungsformen, Bedeutung von Bildung), die Verknüpfung des Individuums mit anderen (im wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bereich), seinen Einflussmöglichkeiten (Öffentlichkeit, Parteien, soziale Netzwerke) bis hin zu den Auswirkungen einer vielfältig globalisierten Welt (Auswirkungen auf die Konsumwelt, die Arbeitswelt und die kulturelle Vielfalt). Diese Entwicklung wurde und wird, so die Grundthese, von Designobjekten (Produkte, Objekte, Bilder, Film, Plakate, digitalen Erzeugnissen etc.) nicht nur begleitet, sondern durch Design erst möglich gemacht.

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Beck, London Underground Map, 1933

Der Soziologe Georg Simmel sieht in der Großstadt, also dem urbanen Lebensraum, den eigentlichen Auslöser und Antreiber dieser Entwicklung. Simmel beschreibt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, dass auf der großstädtischen Bühne der Konkurrenz, die Individualität der Bewohner zwangsläufig entsteht, eben als Spezialisierung, als Verfeinerung und als Antwort auf den äußeren Konkurrenzdruck. Er spricht davon, dass beide Unterformen des Individualismus, die »individuelle Unabhängigkeit« und die »Ausbildung der persönlichen Sonderart« (Georg Simmel 1903) nur auf die qualitative Veränderung der Lebensumwelt in der Großstadt zurückzuführen sei. Der urbane Raum ist hier also nicht nur ein ›Raum von Möglichkeiten‹, sondern er erzeugt auch erst die Handelnden, eben jene Wesen, die zur Spezialisierung und Verfeinerung gezwungen sind, und das sind die Individuen.

Wesentliches Mittel dieses Individualisierungsprozesses sind gestaltete Objekte, bspw. Accessoires, Kleider, Einrichtungsgegenstände, Geschirr, Bilder, Kleidung. Erst sie, als zeigende Geste eines Trends und als Beweis der eigenen Individualität (zumindest als ihre wahrnehmbare Oberfläche) ermöglicht dem urbanen Menschen die Reflektion, d.h. die Kontrolle von eingesetzten Mitteln zur Spezialisierung, die richtige Mischung der verwendeten Stile und die Darstellung und Nutzung im sozialen Verkehr.

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Morita, Sony Walkman, 1979

Nicht zufällig, sondern erst durch die Anforderungen der Moderne bedingt, entsteht in der Zeit um 1907 das Design als eigenartige Mischung aus Arts & Crafts, Jugendstil, industrieller Massenfertigung, technischen Bearbeitungsmöglichkeiten und künstlerischen Vorstellungen. Das Paradox der Moderne, einen Menschentypus zu zeigen und zu fördern, der sich durch Unabhängigkeit, Individualität und Selbstorganisation auszuzeichnen hat, und gleichzeitig über die Kommerzialisierung (als Markenware, als überall käufliche Mode oder als jederzeitige mediale Inszenierung) genau diese Absicht zu konterkarieren, ist nur dann einzulösen, wenn ‚das Design’ als ein soziales Werkzeug verstanden wird. Design verbreitet als Produkt, als Bild, als Grafik, als Film oder als Logo, immer auch Anleitungen für gemeinschaftliche Verhaltensweisen, Perspektiven, kollektive Interessen, Tabus und Ideale. Die Objekte zeigen in der Moderne in Zeitung, Bildband, Ausstellung, Film und Internet, wie unterschiedliche Gruppen miteinander leben können. Das Design besitzen eine Vorbildfunktion. Interessanterweise verbreitet / ermöglicht es gerade erst die Rolle des ‚Individualisten’ und ‚Einzelgängers’, sei es als Rebell der 1950er Jahren, den Öko der 1980er oder der des Hipster in der Gegenwart.

Jonathan Ive, Apple iPhone, 2007

Jonathan Ive, Apple iPhone, 2007

Zu Beginn des 21. Jahrhundert stellt sich die Situation also nicht viel anders als um 1900 dar. Die Welt hat sich stärker globalisiert, individualisiert und digitalisiert, aber die Kernfrage der Moderne: ‚Was verbindet Menschen?’ besitzt die gleiche Brisanz wie vor 100 Jahren. Familiäre Beziehungen verlieren an Einfluss, berufliche Entwicklungen sind standortunabhängiger und die Produktion von Hardware und Dienstleistungen sind ortsungebunden. Landmannschaftliche, religiöse, politische Ideologien verlieren an Bindungskraft. Was bleibt überhaupt noch als Orientierungspunkte und -systeme für Menschen? Es ist – so die These des Seminars – das Design. Design beschäftigt sich immer mit der Oberfläche als die entscheidende und unhintergehbare, weil sinnliche Kontakt- und Austauschebene mit den anderen Individuen. Das Design regelt und reguliert diese Austauschbeziehung, bspw. in Form von Markenwaren (Auto, Bioprodukte, iPhone). Design agiert mit Material, Proportion und Sinnlichkeit und stellt doch Verbindlichkeit, Zusammengehörigkeit und Zukunftsfähigkeit her.

Insofern ist die Erforschung der Dingkultur (des Designs und seiner Methoden) nicht nur eine auf die Disziplin fokussierte Frage, sondern eine, die auf unser Sein zielt.