Sonntag, der 10. April 2016

Im Paradies gibt es kein Design

Seminar Interkulturelle Kommunikation (Prof. Dr. Friedrich Weltzien)

Sensibilisierung für Zusammenhänge

Nicht wenige Themen, die Deutschland, Europa, ja die ganze Welt zurzeit in Atem halten, fallen in den Arbeits- und Forschungsbereich interkultureller Kommunikation. Flüchtlingsströme und Antiterrorstrategien, Kopftuchdebatten und Gendermainstreaming, TTIP-Verhandlungen und Weltklimakonferenzen – nicht zuletzt geht es hierbei immer auch darum, dass sich unterschiedliche Sprachen und Lebensweisen, Weltbilder und Glaubenssätze begegnen. Was politisch unter dem Schlagwort Globalisierung verhandelt wird, braucht interkulturelle Kompetenz.

In Europa herrscht eine andere Kultur im Hinblick auf die Bewertung beispielsweise von geistigem Eigentum, als in Asien. Nachahmung bedeutet andernorts möglicherweise kein Mangel an Individualität, sondern ist Ausdruck einer Ehrerbietung an die Meisterschaft des Vorbilds. In den USA wird das Verhältnis zwischen der Eigengesetzlichkeit des Marktes und dem Recht des Staates, regulierend einzugreifen, grundsätzlich anders gesehen, als in Old Europe. Aber auch innerhalb Europas herrscht keineswegs eine einheitliche Kultur, das ist jeden Tag deutlicher spürbar.

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Was ist Kultur?

Interkulturelle Kommunikation findet insofern auch statt, wenn sich Norddeutsche mit Süddeutschen unterhalten, wenn sich etwa mit der Forderung nach einer weiblichen Führungskultur in Vorstandsetagen Geschlechterdebatten als Kulturkampf gebärden, oder wenn im hitzigen Streit um die „Lügenpresse“ das Problem in einem mangelnden Verständnis zwischen Oben und Unten diagnostiziert wird. Des Präfix „inter-“ spricht von einem Dazwischen. Wo auch immer man dieses Dazwischen verortet, zwischen Ost und West, Nord und Süd, Weiblich und Männlich, Oben und Unten, Arm und Reich, alter und neuer Welt, Rechts und Links, Zentrum und Provinz, Digital und Analog – in jedem Fall braucht es Dolmetscher, Vermittler, Konnektoren, Adapter, Haftcreme.

Kurzum: es braucht ein Medium. Etwas, das dazwischen geschaltet wird, um eine Verbindung zu ermöglichen.

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Anspruch

Grundlage des Seminars ist eine Auswahl klassischer Texte zur Globalisierung, zur postkolonialen Theorie und dem so genannten Orientalismus. Die Lektüre wird in kleinen Gruppen, zu dritt oder zu viert, erarbeitet und dann präsentiert. Kernidee ist aber nicht lediglich ein Referat der Inhalte, sondern davon ausgehend eine produktive Verknüpfung zu den je eigenen Masterprojekten.

Der Anspruch an die Studentinnen und Studenten ist darauf gerichtet, in der eigenen Thesis Aspekte interkultureller Kommunikation zu identifizieren und die darin enthaltene Reibungsenergie als Treibstoff für den Arbeitsprozess zu nutzen. Dabei wird die Dialogfähigkeit geschult. Es dient als Übung in der Sorgfalt sprachlichen Formulierens, indem Pauschalisierungen und unreflektierte Setzungen ins Auge fallen. Die Beweglichkeit des Denkens wird trainiert, indem etwa implizite eurozentrische Prämissen der Thesis sichtbar werden.

Zielsetzung

Ein wesentliches Ziel des Seminars besteht darin, Voraussetzungen wie auch Konsequenzen gestalterischer Entscheidungen zu erfassen. Damit soll ein klareres Selbstverständnis der eigenen Gestalterpersönlichkeit erreicht werden, das sich selbst als eingebunden in ein weltweites System von Interessen und Auseinandersetzungen erlebt. Alle globalen Akteure brauchen sich gegenseitig und müssen doch ihr Verhalten und ihre Beziehungen stets und immer neu aushandeln.

Es gibt kein Rezept, keinen allgemeingültigen Kodex, auf den man sich in jeder denkbaren Situation berufen könnte. Aus der Kenntnis dieser flüssigen Beweglichkeit aller Beziehungen zwischen Menschen, auch in Bezug zu den nichtmenschlichen Mitwesen und den natürlichen Ressourcen, entsteht bestenfalls Achtung, Respekt und Umsicht. Denn dann wird deutlich, dass das Eigene erst im Kontrast zum Fremden erkennbar ist.

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Design, Gestaltung, kreative Arbeit kann diese Verknüpfung bereitstellen, dieses Medium bieten, und ist damit seit jeher Produzent und Anbieter von Identitäten. Dass dies nicht im Sinne einer starren Definition geschieht, sondern als ein immerfort und nimmermüder dynamischer Prozess zu denken ist, soll in diesem Seminar vermittelt werden. Im Paradies verändert sich nichts mehr, aber hier auf Erden ist alles im Fluss. Das ist großartig, macht unglaublich viel Spaß und privilegiert ist, wer schöpferisch seinen Anteil daran hat.